Börsen im Höhenflug: Folgt dem Rausch der Kater?

Martin Schilling

Die Aktienkurse eilen von Rekord zu Rekord, doch gleichzeitig nehmen geopolitische Spannungen und Handelshemmnisse spürbar zu. Insbesondere China sorgt mit neuen Exportkontrollen für Unruhe: Der Zugang zu Seltenen Erden wird ebenso erschwert wie der zu Chips. Wie geht es an den Börsen weiter?

Anlegerinnen und Anleger wundern sich, wenn sie auf die Börsenentwicklung der vergangenen Wochen schauen. Anfang April schien nach der Verkündung deutlich erhöhter US-Zölle aus Sicht der Börse die Welt unterzugehen, heute jedoch ist von der damaligen Panik nichts mehr zu spüren. Die weltweiten Aktienmärkte sind seit dem Rückschlag von Anfang April spürbar angestiegen, und das ohne nennenswerte zwischenzeitliche Kursrücksetzer. Bei vielen Investoren schrillen mittlerweile sogar die Alarmglocken: Aktienmarktbewertungen auf oder in der Nähe von historischen Höchstständen und dazu mysteriöse und undurchsichtige Geldkreisläufe im KI-Sektor schüren die Sorge vor einem großen Crash. Doch eines sollte man dabei nicht vergessen: Bewertungskennzahlen sind schlechte Markttiming-Indikatoren. Denn was teuer ist, kann noch teurer werden, was günstig ist, kann noch billiger werden.

Die entscheidende Frage lautet: Basieren die hohen Bewertungen auf Fantasie oder auf Fakten? Die bisherigen Quartalszahlen für Q3 2025 liefern eine klare Antwort. 84 Prozent der S&P 500-Unternehmen übertrafen bisher die Gewinnerwartungen, bei den Umsätzen schlugen 79 Prozent die Prognosen. Trotz der Sorgen um die negativen Auswirkungen höherer Zölle auf das Wirtschaftswachstum und die Inflationsraten liegt die Gewinnmarge der Unternehmen mit 12,8 Prozent höher als im Vorjahr und höher als im Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre. Solange die Unternehmen in der Lage sind, die in sie gesetzten Erwartungen zu übertreffen, dürften die hohen Bewertungen weiteren Kursgewinnen an der Börse nicht entgegenstehen.

US-Präsident Trump und der chinesische Präsident Xi sind einer nachhaltigen Lösung des Handelskonflikts zwischen beiden Ländern mittlerweile einen wichtigen Schritt nähergekommen. Dies bedeutet zwar nicht die Rückkehr zum Freihandel, aber zumindest wurde eine weitere Verschärfung der Konflikte vermieden. Damit dürften die handelspolitischen Unsicherheiten nachlassen, was eine positive Kapitalmarktentwicklung in der nächsten Zeit unterstützen sollte. Als weiterer positiver Aspekt für die Aktienmärkte ist die US-Geldpolitik zu nennen. Zinssenkungen werden normalerweise in wirtschaftlich schwierigen Zeiten beschlossen, vor allem dann, wenn sich die Wirtschaft in einer Rezession befindet und/oder in einer Finanzkrise steckt. Beides ist derzeit nicht der Fall. Dieser positive Mix aus Geld- und Geopolitik und sehr starken Unternehmensergebnissen führt dazu, dass die Börsenstimmung in den kommenden Wochen weiterhin freundlich bleiben sollte. Den Lackmustest für die Aktienmärkte und die hohen Bewertungen dürfte es voraussichtlich erst geben, wenn die Notenbanken von Zinssenkungen auf Zinserhöhungen umschwenken. Dieser Zeitpunkt liegt nach aktueller Datenlage aber noch weit in der Zukunft.

Newsletter vom 19. November 2025

Martin Schilling – Leiter Geschäftsstelle Private Banking Hannover
M.M. Warburg & CO

Zum Newsletter anmelden